Scheidungskinder.

Mindestens 200.000 Jahre lang lebten vergangene Zivilisationen im tiefen Glauben an die Große Mutter, die Göttermutter. Inanna, Freya, Ishtar, Venus, Astarte, Hera… Ihre Namen, Darstellungen und Erscheinungen sind endlos, ebenso wie ihre Kraft und Verehrung. Und die Gefühle und Gedanken, die jeder einzelne ihr gegenüber hegt, sind ebenso zahlreich. Vereint jedoch sind sie in den femininen göttlichen Eigenschaften von Fruchtbarkeit, Weisheit, nährender Sorge, Weichheit und doch Stärke. Die universelle Mutter, die uns auf Erden geboren hat und in ihrer Liebe und Fürsorglichkeit badet. Die das Leben und ihre Kinder verteidigt wie eine Löwin.

Patriarchale Schriftreligionen nahmen uns diesen Glauben, dieses ursprüngliche Vertrauen in die nährende, liebende, fruchtbare Große Mutter. Sie verkehrten diese in ihr furchtbares Gegenteil – zum Allmächtigen Vater, „der da ist im Himmel“,  weit oben, abgeschnitten von unseren irdischen Bedürfnissen und Leiden, distanziert, streng und kühl. Angeblich allmächtig, jedoch unfassbar schwach in Bezug auf die Versorgung und den Schutz der Menschen auf Erden. Sein einziger Sohn ans Kreuz genagelt, vorgeblich für die Sünden der auf Erden wandelnden Menschen. Welches verzerrte Bild erschafft dies von einem richtenden, strafenden und herrschenden Vater? Aus einer mit der Erde verbundenen, nährenden und gerechten Mutter wurde ein ätherischer, ungreifbarer, abwesender Vater.

Die Göttermutter wurde aus den Heiligen Schriften gestrichen, ihre Verehrung gewaltvoll aus den Gedächtnissen der Menschen getilgt – durch Bedrohung, Folter oder Zerstörung und Auslöschung. Von Mutter durfte nicht mehr gesprochen werden, stattdessen musste in Angst und Unterwerfung „Vater unser im Himmel“ geheiligt und angerufen werden, um unsere Sünden zu beichten und um Vergebung zu bitten. Mutter war nicht nur keine Unterstützung und Schutz mehr, sondern die Erwähnung ihres Namens zog Strafe und Missgunst nach sich. Ihre Eigenschaften wurden verspottet, geächtet, ihr Bild in den Dreck gezogen, ihre wahrhaftige Macht wurde aus Neid und Machthunger in Verletzlichkeit und Schwäche umgedreht. Wir durften die Mutter weder anrufen, noch nach ihr fragen oder uns mit ihr verbinden.

In diesem kollektiven Scheidungsurteil unserer „modernen“ Zivilisation sind wir die mutterlosen Kinder, die dazu gezwungen wurden, mit einem nahezu unbekannten Vater zu leben. Von dem wir aus Büchern und Erzählungen lernen statt durch wahrhaftige Begegnung und gemeinsames Leben. Seit knapp 2.000 Jahren sind wir in einem grausamen Mythos gefangen, in dem die Weiblichkeit mit Urschuld, Sünde, mit Listigkeit und Schwäche gleichgesetzt wird. Das Patriarchat ist nicht nur Vaterkult, sondern ein Kult gegen das Leben und die Fruchtbarkeit. Die „Heilige Dreifaltigkeit“, die uns der Katholizismus aufdrängen will, ist jeglicher Weiblichkeit und damit jeglichen Lebens beraubt. Vater, Sohn, Heiliger Geist - wer gebärt und versorgt hier die Kinder? Es ist nur nachvollziehbar, wie eine solche Gesellschaft in Verderben und Zerstörung versinkt. Denn sie kann nichts erschaffen.

Im vorHERRschenden Mythos sind wir die traumatisierten Kinder einer brutalen Trennung, einer Spaltung in richtig und falsch, in gut und böse. Wir haben den Mythos eines gebrochenen Heims geerbt. Und viele von uns verbringen ihr Leben damit, diesem verlorenen Glück hinterher zu jagen und eine tiefe Wunde zu stopfen zu versuchen. Uns wurde nicht nur das fried- und liebevolle Zuhause genommen, sondern unsere Erinnerungen wurden verdreht, unsere Wertschätzung mit Lügen und übler Nachrede verdorben, unser tiefstes Wissen verteufelt und vernichtet. Wir sind eine Zivilisation aus verletzten, verwirrten, vereinsamten Scheidungskindern. Denen von einer äußeren Macht die Mutter genommen, geraubt wurde und die fortan mit einem gewalttätigen, desinteressierten, abgeschotteten Vater zurechtkommen mussten. Der im besten Fall harte Worte und Urteile, im schlimmsten Fall harte Strafen und Katastrophen auf uns hereinbrechen lässt. Und der in jedem Fall streng über uns urteilt, uns über unsere Errungenschaften definiert. Wo Menschen in vergangenen Zivilisationen vereint und in Harmonie mit anderen und mit der Natur zusammenleben konnten, sind wir heute voneinander getrennt, abgekapselt, auf uns selbst und unser eigenes egozentrisches Überleben fokussiert. Was verständlich ist, wenn man darauf programmiert wird und eingebläut bekommt, jede einzelne Handlung würde gemessen, bewertet und vor Gericht gestellt.

Eine zugrundeliegende Unsicherheit begleitet den Menschen auf zellulärer Ebene, und ich bin überzeugt, dass dies keine Beiläufigkeit ist, sondern kaltes Kalkül. Patriarchale monotheistische Schriftreligionen haben den ursprünglichen Kult der Göttermutter gebrochen und in sein Gegenteil umgekehrt. Haben Fruchtbarkeit und Liebe in Beherrschung und Konkurrenzkampf umgedreht. In dieser auf den Kopf gestellten Welt – und zwar wortwörtlich, denn alles scheint aus dem Kopf gedacht und geplant und strukturiert zu werden anstatt aus dem Herzen erschaffen – sind wir die verlorenen Seelen, die sich fehl am Platz fühlen, obwohl oder eben weil sie tief im Inneren spüren, dass so viel mehr möglich ist als ein Dasein in Mangel und Furcht. Die in ihrem innersten Kern wissen, dass das nicht alles sein kann. Und ich wage zu behaupten, dass deswegen in diesem Moment alles so verwirrend, so überfordernd, so richtungslos und unsicher scheint, weil die Verzerrungen und Täuschungen immer offensichtlicher werden.

Wir sind ent-täuscht, von den Lügen und Manipulationen, die uns seit Generationen aufgetischt werden – bereits so lange, dass unser beschränkter Geist sich nicht mehr bewusst daran erinnert. Doch unsere unsterblichen Seelen erinnern sich sehr wohl. Und diejenigen, die sich trauen, hinter die Unerfülltheit zu blicken und statt der Sucht und dem Konsum zu verfallen, sich auf die Suche nach den Wahrheiten begeben… Nach Antworten auf die Fragen, was unsere Natur ist, wer sie wirklich sind, was dieses Leben für einen Sinn hat, was der Ursprung ist, was Menschsein eigentlich bedeutet… Lasst uns gemeinsam forschen. Denn wer aufrichtig sucht, der wird finden. Wer fragt, dem wird geantwortet.

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